Das Robert-Koch-Institut (RKI)

spielt im Rahmen der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des IfSG eine tragende Rolle:
Das RKI gibt mit dem Pandemieplan die Linie für die Pandemiebekämpfung vor:

Hieraus ergibt sich, dass die Pandemiebekämpfung in 3 Phasen erfolgt:
1. Containment (Eindämmung), 2. Protection (Schutz besonders gefährdeter Gruppen und 3. Migitation (Abmilderung gesellschaftlicher Schäden/Folgen) – wobei in die zweite oder gar dritte Stufe erst eingetreten wird, wenn die erste keinen Erfolg mehr verspricht.
Noch deutlicher formuliert es die Modi-Sars-Studie (S. 68): “Wenn eine Kontaktsuche aufgrund der Vielzahl der Fälle nicht mehr möglich ist, ist eine Einzelfallmeldung nicht mehr sinnvoll und kann aufgehoben werden”. 

So lange also das Infektionsgeschehen durch die Massnahmen der Stufe 1 kontrollierbar bleibt, werden und müssen (!) sie nach dem Pandemieplan – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – aufrechterhalten bleiben: Auch die Gerichte (z.B. VG München v. 30.09.20, M26b E 20.4390, S. 13) stellen mit Hinblick auf den 7-Tages-Inzidenzwert – der aktuell den Massstab für Verschärfung von Massnahmen bildet – nicht mehr auf den potentiellen Anstieg von Infektionen an sich ab sondern auf dessen Kontrollierbarkeit:
“Der Wert von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner markiert die Grenze, bis zu der die öffentliche Gesundheitsverwaltung in Deutschland sich zu einer Rückverfolgung von Infektionsketten maximal in der Lage sieht und die Verbreitung des Coronavirus durch weitere Fallfindung noch verhindert werden kann.” 

Die Eindämmungsstrategie mit ihren weitreichenden Freiheitsbeschränkungen bis hin zur Quarantäne wird demnach also erst enden (können), wenn das (sichtbare) Infektionsgeschehen derart eskaliert, dass es für die Gesundheitsämter unbeherrschbar wird, insb. weil Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar sind und Quarantäne für Kontaktpersonen nicht mehr sinnvoll angeordnet und überwacht werden kann.

Es gibt darüber hinaus den Behörden Richtlinien an die Hand, wie die Rechtsbegriffe des IfSG auszulegen sind, insb. wer z.B. aufgrund welcher Tatsachen als „ansteckungsverdächtig“ gelten soll und gibt Empfehlungen, wie mit den betroffenen Personen umgegangen soll.
Mit Hinblick auf den Coronavirus unterscheidet das Institut (neben einer Dritten Sonderkategorie für medizinisches Personal) zwei Kategorien von Kontaktpersonen:
Kategorie 1: Personen, die mehr als 15 Minuten direkten Kontakt mit einem Infizierten hatten.
Kategorie 2: Personen, die weniger als 15 Minuten direkten Kontakt hatten, aber sich im selben Raum wie ein Infizierter aufgehalten haben.
Während in Kategorie 1 vom RKI eine „häusliche Absonderung“ grundsätzlich (allerdings explizit „unter Abwägung der Möglichkeiten und nach Risikobewertung“) empfohlen wird sehen die Empfehlungen bei Kategorie 2 lediglich eine Reduktion der Kontakte zu anderen Personen und ggf eine freiwillige (!) häusliche Absonderung vor.
Auch wenn diese Empfehlungen rechtlich für die Ämter nicht bindend sind, geben sie doch eine Richtlinie vor, von der nicht willkürlich abgewichen kann.
Teilweise noch weitergehend hat z.B. Bayern per Allgemeinverfügung v. 07.05.20 – der inzwischen andere Regionen gefolgt sind – angeordnet, dass Personen der Kategorie 1 sich bereits auf blosse Mitteilung des Gesundheitsamtes hin sich in Einzelquarantäne begeben müssen. Gleiches gilt für Personen die sich “nach ärztlicher Beratung” testen lassen (ohne dass das Testergebnis überhaupt vorliegen muss!). M.a.W.: Wer vom Hausarzt aufgrund etwaiger Symptome (zu denen alltägliche Banalitäten wie Hüsteln oder Halskratzen gehören), getestet wird gilt nach dieser Definition automatisch als “ansteckungsverdächtig” i.S.d. § 30 IfSG. Das dürfte sogar für denjenigen gelten, der einen Test entgegen ärztlicher Empfehlung verweigert.
Vor diesen Hintergründen dürfte jedenfalls die Verhängung von Quarantäne bei Personen der Kategorie 2 grundsätzlich unzulässig und rechtswidrig sein. Aber auch in Fällen der Kategorie 1 dürfte die pauschale Verhängung von Quarantäne ohne nähere Berücksichtigung aller Umstände ermessensfehlerhaft sein.
Gerade im Fall von Kontaktnachverfolgungen durch Gästelisten oder auch bei Kontakten in Schulen etc dürfte zweifelhaft sein, ob sich die Voraussetzungen, ob jemand als Kontaktperson der Kategorie 1 angesehen werden kann, überhaupt hinreichend nachweisen lassen. In diesen Fälle kann eine Quarantäneanordnung dann durchaus angreifbar sein.